Der Mauretanien-Blog

24. März 2021: Chinguetti – Terjit

DAMENMAST

Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass die Abende doch hier sehr überschaubar sind. Selbst ein kleines „Meeting“ nach dem Abendessen wird kritisch beäugt. Aber gut, man kann sich auch im Stillen zu zweit oder zu dritt vergnügen. So wird das eigene Zimmer schnell zum Undercover Operating Room. Das verschlafene Chinguetti allerdings ist dafür weiß Gott nicht geschaffen, deshalb zu Beginn des heutigen Tages noch eine kleine Geschichte von gestern. Tatort: die Altstadt.

Wie bereits erwähnt, bewahren alteingesessene Familien wahre Schätze an Manuskripten, wissenschaftlichen Werken oder Korantexten auf. Seid, ein Vertreter einer der Familien zeigt uns stolz seine Sammlung oder zumindest einen Ausschnitt davon. Die Werke sind nach unseren Maßstäben eher spärlich gesichert, aber um das Öffnen der Türen mit einem Zahnbürsten-ähnlichen Gerät wird ein riesiges Brimborium veranstaltet. Wobei die Bürsten aus krummen Metallstäben bestehen, also nicht zu häuslichen Zwecken zu gebrauchen sind. Fragen nach der Digitalisierung solcher Werke werden eher abweisend beantwortet, dafür nimmt sich Seif viel Zeit, ausdrucksstark und melancholisch poetische Liebesgedichte vorzutragen. Die dezentrale Lagerung solcher Werke hat auch seine Vorteile. Wenn ein brandschatzender Trupp a la Al-Qaida wie in Timbuktu vorbeikommt, können diese schneller in Sicherheit gebracht werden.

Neben solchen Schriftdokumenten finden sich im Innenhof noch einige andere Gegenstände. Ein Schachspiel, eher unscheinbare Knarren Marke Cowboy und Indianer und… antiquiertes Küchengerät. Was so unscheinbar klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Denn hier wird gemästet. Aber keine polnischen Gänse, sondern mauretanische Frauen – um nicht zu sagen mauretanische Mädels. Rund 10 Liter Kamelmilch mit Couscous versetzt oder ums in europäischen Maßeinheiten auszudrücken: 17.000 cal pro Tag werden in die kleinen Körper hineingestopft. Und wer die Pampe beim ersten Mal sagen wir’s mal deutlich wieder raus kotzt, dem wird es mittels Trichter gleich wieder hineingestopft. Dabei reden wir von 9 bis 10-jährigen Mädels, also das, was hierzulande unter heiratsfähigem Alter summiert wird.

Und warum das Ganze? Dicke, fette Frauen sind ein Zeichen des Wohlstands und sollen nach außen etwas darstellen. Das mauretanische Schönheitsideal wird im wahrsten Sinne des Wortes den Betroffenen eingetrichtert. Auch wenn es mittlerweile in den Städten Proteste und Aktionen gibt und auf dem flachen Lande eher ärmliche Familien zu sehen sind, ist nicht zu übersehen, dass diese nennen wir’s mal wahlweise Stopforgien oder Menschenquälerei nach wie vor gang und gebe ist. Es ist die zweite mauretanische Spezialität neben der nicht eben unerheblichen Sklavenwirtschaft im Lande. Aber dazu kommen wir später.

Die Route heute führt über eine landschaftlich lebendige Strecke zurück nach Atar. Nomadenvölker ziehen umher, in vereinzelten Oasen haben sich andere dörflich sesshaft gemacht. Es ist brütend heiß und auch der eine oder andere Laden lädt in Punkte Schatten nicht lange zum Verweilen ein. Spezialität des Hauses ist ein Schokokuchen für 20 Cent, Getränke sind lauwarm, von Coke Zero keine Spur. Da schmeckt der Kuchen bei 40 Grad dann auch nur zu einem heißen Kaffee oder Tee, aber der wird bekanntlich nur mit Kiloweise Zucker serviert. In den Nomadenzelten leben ca. 30 Personen. Die Männer sind außer Haus, vermutlich Ziegen hüten, die Frauen bauen in Windeseile ihre Stände auf und die Kids lernen von mir, was high five bedeutet. Ich besorge mir drei Gläser, die wunderbar für den heutigen Abend geeignet sind. Denn wir sind in Atar und … na, bimmelts … in Atar ist Jägermeister-Time.

Während wir die Oasen bis dato von der Ferne gesehen haben oder durch die Oasendörfer gefahren sind, bietet Terjit die Möglichkeit, zwischen Palmen und Bächen ein paar Stunden die Seele baumeln zu lassen. Vom Felsmassiv herunter lauscht man dem blubbernden Wasser, das über die Jahre hinweg grün schimmernde Stalagmiten gebildet hat. Unterm Zeltdach bläst der Wüste durch, Tee und Äpfel werden serviert, ja – man fühlt sich wie Gott in Frankreich, oder Holger in Mauretanien.

Um es genau zu sagen, drei Stunden mach ich nix außer mitten in der Wüste die Palmen zu bestaunen oder unterm Zeltenhimmel rumzudösen. Zehn Minuten vom von wassertropfenden Felsen umgebenen Rastplatz befindet sich ein Felsbottich in den Maßen 2x3x2 Meter. Das Wasser eiskalt und für die Touristen zum Baden bestimmt. Zumindest springen diese bei der Hitze freudig hinein, während der Einheimische das kühle Nass primär als Durstlöscher verwendet. Bier gibt’s ja bekanntlich keins. Manch sprechen sogar von der heilenden Wirkung des Wassers. Demnächst also Bad Terjit statt Oase Terjit.

Zurück in Atar. Der quirlige und doch sehr authentische Markt zieht mich magisch an. Am sechsten Tag der Reise kann ich mich erstmals ins richtige Getümmel stürzen. Was auffällt: riesige Baguettes werden in Schubkarren verkauft. Natürlich einzeln und nicht als komplette Fuhre. Dazu viele Obst- und Gemüsestände mit Verkäufern, die sich einen Spaß daraus machen, Smile zu rufen. Denn im Gegensatz zu den Einheimischen muss ich hier Maske tragen, kann dafür aber auch ungestört über die neckischen Sprüche der Händler grinsen. Nur die Markthalle spottet jeder Beschreibung. Sie ist ein einziges Mücken-Eldorado. Verdreckt und finster die Halle, in der Millionen von Mücken die wenigen Fleisch- und Obststände belagern. Manchmal habe ich echt Probleme zu erkennen, ob hinter dem Mückenschwarm überhaupt ein Verkäufer steht.

P.S.: Bei den vielen Pisten im Lande ist es schwierig während der Fahrt den Blog zu schreiben. Dafür gibt es aber eine Spracherkennung, die leider auch auf das Gesumse der mauretanischen Bänkelsänger im Radio reagiert. Während ich kurz aus dem Handy schaue, schreibt mein Handy von ganz alleine: „Antwort auf rum Albert Valerie Hymne Halim sag ihr was mir an.“ Ob der das wirklich so gesungen hat?

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