Der Mauretanien-Blog

26. März 2021: Nouadhibou

VERFOLGUNGSJAGD

Die Wüste hierzulande unterscheidet sich in einem von den Gegebenheiten im Niger oder in Mali. Es wird nachts sehr spät kalt, um nicht zu sagen erst am frühen Morgen. Das wird umso offensichtlicher, da wir die zweite Nacht unter freiem Himmel verbrachten. Am Fuße der Ayshe hatte ich mein Zelt aufgeschlagen und freien Blick auf den vorösterlichen Vollmond inklusive des klaren Sternenhimmels. Dabei schien der Mond in einer Intensität, die jede Taschenlampe in der Nacht hinfällig machte. Was jetzt eher was für Romantiker ist, denn nächtliche Aktivitäten sind in der Wüste doch überschaubar – gerade in Mauretanien. Und Ayshe schläft nachts auch tief und innig.

Umso früher geht es heute aus den Federn. Rund 400 Kilometer, davon 320 über Sandpiste sind bis an die Küste im nördlichen Grenzgebiet zu Marokko zu absolvieren. Ziel ist Nouadhibou, übersetzt der Brunnen der Schakale und im Volksmund auch das Sündenbabel Mauretaniens genannt. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Wein, Weib und Gesang.

Der Eisenerzzug ist die einzige Bahnverbindung in Mauretanien. Mit bis zu 220 Wagons zählt er zu den längsten Zügen der Welt. Die Strecke führt von Nouadhibou an der Atlantikküste tief hinein in die Sahara nach Zouerat. Die Fahrt zurück zur Küste dauert deutlich länger als der Hinweg. Bis zu 120 Tonnen Eisenerz müssen die Loks ziehen – pro Wagon. Damit ist der Iron Ore Train, wie er hier heißt, nicht nur einer der längsten, sondern auch der schwersten Züge der Welt. Das birgt ganz eigene Schwierigkeiten: Alle paar Wochen müssen die Gleise ausgetauscht werden. Entlang der Strecke liegen abgeplatzte Schienenteile wie Granatsplitter im Wüstensand.

Wir fahren Lineal-artig gezogene Strecke insgesamt entlang der Bahn und der Grenze zu Marokko und haben so die Gelegenheit für jede Menge Fotomotive. Und immer in der Hoffnung, dass nunmal wirklich die 3.5 Kilometer Variante mit einem schrillen Pfeifen vorbeikommt. Der erste Versuch scheitert zumindest in dieser Hinsicht. Trotz Eisenbahnknotenpunkt sieht man zwei Züge mit wenigen Waggons. Andere Züge auf der Stecke wiederum wirbeln soviel Staub und Sand auf, dass man nur noch eine riesige Wolke erkennt. Während wir mit dem Pickup bei Tempo 65 die Piste entlang brettern, überholen wir einen der Züge, was auf eine Geschwindigkeit der Loks von maximal 50-55 km/h schließen lässt. Der Vorsprung hält freilich nur solange, bis man erneut aussteigt und den rollenden Express erneut in voller Länge fotografieren oder filmen kann. So gestaltet sich aus der Monotonie von Gleisen und Wüste eine abwechslungsreiche Verfolgungsjagd. Quasi wie Hase und Igel.

Ein weiteres Problem ist das Fotografieren. Da der Zug für die Wirtschaft des Landes strategisch wichtig ist, sind die Haltepunkte von Polizei oder Militär bewacht. Man denkt in einem kleinen Dorf zu sein und hält bereits die Nase in eine Tür, um eine Cola Zero zu ergattern und entdeckt plötzlich ein Schild mit der Aufschrift Gendarmerie National. Auch sind die Jeeps der Gendarmen grün lackiert, wirken aber sowas von ausrangiert, dass man keine Polizei in der Nähe vermutet. Wer in einer solchen unscheinbaren Situation auf den Auslöser drückt, hat dann das große Los gezogen – ein persönliches Gespräch mit dem Polizeichef plus Obolus für die Beratung. Im schlimmsten Fall wird die Kamera gleich konfisziert. Doof bin ich allerdings nicht, im Selfiemodus kann man auch den entgegengesetzten Hintergrund fotografieren und komme so problemlos durch die Fotozensur.

Die weitere Fahrt ist recht unspektakulär, ab und zu treffen wir auf Gleisposten, die dafür sorgen, dass die Gleise nicht versanden, oder auch Teile auswechseln und auch sonst für die Sicherheit des Zuges sorgen. Wir passieren auch verlassene Dörfer, der Unerbittlichkeit des Sandes und des Windes ausgesetzt. In Tiefsandfelder oder in weichen Senken bleiben wir auch ab und zu stecken. Same procedure as every time.

Vor Nouadhibou treffen wir auf einen stehenden Zug, mitten in der Pampa steht er einfach so da. Der Lokführer kommt zu uns runter, gestikuliert. Seine Kappe ist bereits ziemlich abgegriffen. Irgendwo auf der Strecke gäbe es wohl ein Problem, jetzt muss er hier warten. Mit einem herzlichen Lachen im Gesicht wünscht er uns gute Weiterfahrt, steigt wieder auf seine riesige Lok und schaut stolz wie einst Jim Knopf aus dem Seitenfenster.

Später lerne ich Salek und Baba kennen. Irgendwie muss ich da an Lolek und Bolek denken. Bolek, also Salek lädt mich ein, ihn in ein benachbartes Dorf zu begleiten. Was natürlich so nicht funktioniert. Und beide machen ein Geheimnis um diesen Ort. Ich erfahre, dass dieser vor etwa 30 Jahren von einem Weisen Namens Marabout gegründet wurde, der eine besondere, den Suffis ähnliche fortschrittliche Philosophie verfolgte und Menschen um sich geschart hat, die mit seinen Gedanken übereinstimmten. Was damit gemeint ist, spüre ich kurz danach. Ich entferne mich für zwei Stunden von der Truppe und mache eine Spritztour.

Obwohl es schon spät ist, steht eine Abordnung der Ortsverantwortlichen zur Begrüßung bereit. Der Bürgermeister, Mohamed, der Dorfarzt und sowie der Imam des Dorfes. Man merkt:  Hier ist jeder willkommen. Es wird Tee gekocht, geredet, gelacht und im Hintergrund gekocht. Es gibt Fisch. Das ist Gastfreundschaft a la Mauretanien.

P.S.: Der Eisenerzzug hat auch ein Personenabteil. Bei den Stops sieht man allerdings wenige Leute aussteigen und umhergehen. Da gibt es Landminen, sagt einer der Reisenden und nickt bedeutungsvoll zu mir. Demzufolge stehe ich mitten im Minenfeld.

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